Führhundhalter kommen zu Wort

Helmut & Emma

 

Was zur Entscheidung führte.

Wenn jemand wie ich seit mehr als 30 Jahren mit einem schweren Augenleiden zu kämpfen hat, dann hat er bereits viele Krisen durchlaufen. Da ich ein sehr robuster Typ bin, habe ich auch alle Nackenschläge in Form von weiteren Verschlechterungen des Sehvermögens gemeistert. Selbst mit einem Sehrest von mageren 2 Prozent bin ich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ordentlich klargekommen. Ich war mobil und habe ein Studium der Philosophie begonnen. Alle Wege mit Bus und Bahn zur Uni konnte ich selbständig bewältigen. Auch meiner großen Leidenschaft, dem Joggen im Wald, konnte ich weiterhin frönen. Eigentlich war ich der Auffassung, dass mir nun nichts mehr mein Leben versauern kann. Umso verwunderter war ich, als mich der Verlust dieser mickrigen 2 Prozent dennoch wie ein Hammerschlag traf. Meine Mobilität war komplett verloren und ich war wie ein Kleinkind auf meine Frau oder meine Kinder angewiesen, wenn ich das Haus verlassen wollte. Was mich an den Rand der Verzweiflung trieb, war die Orientierungslosigkeit, die ich selbst in sehr vertrauten Umgebungen empfand. Hatte ich bislang selbst ein Mobilitätstraining aus vielleicht falschem Stolz abgelehnt, weil ein Kämpfer wie ich immer allein klarkommen muss, so war mir nun ebenso bewusst, dass ich nun sehr schnell etwas ändern musste. Ich wollte meine eigenständige Mobilität so schnell wie möglich wiederhaben. Da die ländliche Struktur für Langstockgeher nur wenig Orientierungshilfe leistet, war der Blindenhund im wahrsten Sinne des Wortes der letzte Strohhalm, an den ich mich klammerte. Zusammen mit meiner Frau machte ich mich auf die Suche nach einer Führhundschule. Mit einer ärztlichen Verordnung in der Tasche traf ich erstmals in Hemer auf Gerlinde Haag. Das Gebäude der Führhundschule war aufgrund des Bellens der vielen Hunde nicht zu verfehlen. Allerdings benötigten wir etwas Mut, das Gartentor zu öffnen, um an die Haustür zu gelangen. Schnell bemerkten wir, dass die Hunde uns gegenüber eine freundliche Gesinnung hatten. Einige von ihnen sollten wir während des Gesprächs mit Gerlinde Haag auch näher kennenlernen. Der Gesprächsverlauf mit der sympathischen Besitzerin der Hundeschule weckte in mir ein großes Vertrauen für eine gemeinsame Zusammenarbeit. Was eine sofortige Zusage meinerseits verhinderte, war jedoch die Aussage von Gerlinde Haag, dass es etwa 1 Jahr dauern würde bis ich einen Führhund bekäme. Da ich ein ungeduldiger Mensch bin, schreckte mich diese Aussage erstmals ab. Dieses Gespräch fand im August 2018 statt. Als ich jedoch auch in einer weiteren Führhundschule die gleiche unbefriedigende Aussage erhielt, gab ich Frau Haag eine feste Zusage. Von diesem Tag blieben wir in einem regelmäßigen Kontakt. Bereits wenige Tage später erhielt ich von Gerlinde Haag einen Kostenvoranschlag zur Einreichung bei meiner Krankenkasse. Unmittelbar nach der Rückkehr aus meinem 2-wöchigen Urlaub auf der herrlichen Insel Kreta erhielt ich das Antwortschreiben meiner Krankenversicherung. Statt der erhofften Zusage enthielt es jedoch eine lange Liste von Dokumenten, welche ich noch einzureichen hatte. Es begann ein zeitaufwendiger Marsch von Arzt zu Arzt, um alle möglichen Atteste einzuholen. Die größte Hürde stellte ein Allergietest für mich dar. Dies war umso verwunderlicher, weil ich in meinem gesamten 61-jährigen Leben noch kein Anzeichen von Allergie verspürt habe. Aber auf die Hundehaare schien meine Haut zu reagieren. Glücklicherweise war der zusätzlich gemachte Bluttest negativ und ich konnte das Attest ebenfalls in Empfang nehmen. Anfang Oktober landete das Paket mit Alen Unterlagen bei meiner Krankenversicherung und was ich kaum zu hoffen gewagt habe bekam ich bereits 2 Wochen später die Bewilligung meiner Versicherung. Überglücklich rief ich sofort Gerlinde Haag an und erlebte die 2. Überraschung innerhalb kürzester Zeit. Sie teilte mir mit, dass sie bereits ab Januar einen Hund für mich hätte. Eine fuchsrote Hundedame namens Emma. Bereits am nächsten Tag war ich mit meiner Frau in Hemer und wir schlossen die 18 Monate alte Labrador Hündin in unser Herz. Ein unvergesslicher Moment. Bei diesem Termin lernten wir auch Juliana kennen, die Trainerin von Emma. Bei schönem Wetter machten wir den ersten gemeinsamen Spaziergang mit Emma. Am späten Nachmittag fuhren meine Frau und ich glücklich und zufrieden nach Hause. Die wenige verbleibende Zeit nutzten wir, um uns hundegerecht einzukleiden was sich in der Nachbetrachtung als äußerst nützlich herausstellen sollte. Auch meine erwachsenen Kinder hatten ihre Vorfreude, weil sie endlich mal wussten, was sie Papa zu Weihnachten schenken sollten. Noch nie hatte ich einen solchen Berg an Päckchen auf den Gabentisch liegen. Ich glaube sie haben einen „Fressnapf“ komplett leergeräumt. Somit stand fest, dass die bevorstehende Aufgabe nicht an der Ausrüstung scheitern würde.

Die Schulung vor Ort.

Am 20. Januar begann die lang ersehnte Einarbeitung im Südsauerland zwischen Emma und mir. Die ersten Tage bestanden aus Spaziergängen an der Leine, viel Freilauf für den Hund sowie die Gehorsamsübungen mit den üblichen Hörzeichen. Alles relativ unspektakulär. Spannend war nur die erste Übernachtung von Emma in ihrem Zuhause. Aber auch diese verlief wesentlich entspannter als zuvor angenommen. War Emma anfangs noch ziemlich unruhig, so schlief sie wenig später schon tief und fest in unserem Schlafzimmer. Am 3. Tag erfolgte der erste Gang im Führgeschirr auf einer relativ geraden Strecke. Ich bekam einen ersten Vorgeschmack, was es bedeutet, sich vollkommen einem Hund anzuvertrauen. Ein tiefgreifender Eindruck, welcher sich in den folgenden Wochen in positiver wie auch in negativer Hinsicht verstärken sollte. Bei normalen Sauerländer Winterwetter mit viel Regen und ohne Sonnenschein ging die erste Woche vorüber. Hierbei besuchte Emma auch ihre ersten beiden Vorlesungen an der Universität. Sie war jedoch wenig beeindruckt von der Philosophie sowie der römischen Antike. Dann geschah das, was ich im Vorfeld bereits befürchtet hatte. Die Temperaturen gingen in den Keller und der Dauerregen verwandelte sich in ein heftiges Schneetreiben. Juliana staunte nicht schlecht als sie am kommenden Montag auf eine geschlossene Schneedecke von 25 Zentimeter traf. Die einzige, die daran ihre helle Freude hatte, war natürlich Emma. Ich war heilfroh, mir im Vorfeld eine Trapper-Ausrüstung zugelegt zu haben. Das Einstudieren der Wege wurde nun zusätzlich erschwert, weil wir einerseits manche Wege nicht begehen konnten, weil sie vom Schneepflug zugeschoben waren und andererseits die Orientierung für den Hund erschwert war. Alles jammern half nichts, wir 3 mussten da durch. Bei eisigen Temperaturen von minus 10 Grad kam ich trotz guter körperlicher Verfassung gelegentlich an meine Grenze. Glücklicherweise war der Spuk nach einer Woche wieder vorbei. Jetzt regnete es wieder. Endlich konnten wir auch den normalen Weg zu meiner Bushaltestelle in Angriff nehmen. Allerdings wurde mir nun bewusst, dass ich mir die ganze Einarbeitung doch wesentlich einfacher vorgestellt hatte. Wir machten auf diesen Wegen trotz mehrfacher Wiederholung immer noch reichlich Fehler. In einer Nachbetrachtung würde ich jedoch festhalten, dass die meisten falschen Aktionen von mir selbst ausgingen. Weil ich nicht bereit war, dem Hund im wahrsten Sinne des Wortes blind zu vertrauen und durch mein Zögern den Hund zusätzlich verunsicherte. Aber trotz aller unserer Unzulänglichkeiten wuchsen wir doch immer enger zusammen und nach der 3. Woche wollte ich meine Emma nicht mehr missen. Nun kam allerdings eine Woche, in der ich ohne meine Trainerin allein üben sollte. Ich möchte nicht von einer Woche des Grauens sprechen, aber sie brachte mich an den Rand der Verzweiflung. Bei unseren vielen Versuchen, heil zur Bushaltestelle zu kommen, lernte ich fast alle mir bisher verborgen gebliebenen Sehenswürdigkeiten unseres Dorfes kennen. Schade nur, dass ich nicht mehr sehen kann, sonst hätte ich vielleicht einen neuen Eindruck von unserem Heimatort gewonnen. Der Höhepunkt war der unfreiwillige Besuch eines Kuhstalls, aus dem ich nur mit der Hilfe meiner herbeigerufenen Frau wieder befreit werden konnte. Nun lagen die Nerven einigermaßen blank. Ich hatte das Gefühl, dass meine Einarbeitung auf dem besten Weg war, zu scheitern. Ein wenig Beruhigung verschaffte mir ein Telefonat mit Gerlinde Haag, welche von derartigen Ereignissen wenig überrascht schien und meiner Geschichte von dem Kuhstallbesuch sogar eine lustige Seite abgewinnen konnte. Mit einem gewissen Abstand sehe ich dies auch so, aber damals war ich überwiegend verzweifelt. Dennoch übten Emma und ich die restliche Woche fleißig weiter. So leicht wollte ich mich nicht unterkriegen lassen. Allerdings erschienen mir unsere Fortschritte eher homöopathischer Art zu sein. Ich war heilfroh, dass ich in der kommenden Woche wieder unter der Obhut von Juliana üben konnte. Als Damoklesschwert schwebte jedoch die anstehende Gespann Prüfung am Freitag über mir. Jetzt musste es kräftig vorangehen. Auf wundersame Art wurde es tatsächlich von Tag zu Tag besser. Mit den rasch steigenden Temperaturen von mittlerweile 19 Grad plus kamen wir schnell in Form. Juliana sprach von einer rekordverdächtigen Temperaturspanne von etwa 30 Grad während einer Einarbeitung.

Die Gespann Prüfung.

Am 21. Februar stand die letzte Hürde auf dem Programm. Mittlerweile lief es mit meiner Emma bereits so gut, dass ich optimistisch in die Prüfung gehen konnte. Bei herrlichem Wetter stand aber eine zusätzliche Herausforderung auf dem Programm. Es war Mülltonnentag in meinem Heimatort, was bedeutete das der gesamte Bürgersteig auf dem Weg zur Bushaltestelle mit Biomülltonnen zugepflastert war. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kamen Emma und ich aber zunehmend in Schwung und umkurvten alle Hindernisse fehlerfrei. Mit dem Bus zum Bahnhof, wo wir zur Höchstform aufliefen und den Weg zum Bahnsteig im Eiltempo absolvierten. Nun auf dem Heimweg nochmals um alle Mülltonnen herum und dann war es geschafft. Ich war glücklich, die Prüfung erfolgreich absolviert zu haben. Noch eine Woche zuvor hätte ich dies für unmöglich gehalten. Nun hieß es auch Abschied von Juliana zu nehmen, welche mich fast 4 Wochen begleitet hatte. Ein trauriger Moment.

Nur eine Woche später.

Ich habe mich nach meiner Prüfung natürlich nicht auf meinen Lorbeeren ausgeruht und mit Emma fleißig gearbeitet. Erstaunlicherweise haben wir bereits am ersten Tag nach der Prüfung meinen Weg zur Universität fehlerfrei absolviert. Ich führe dies auf mein Selbstvertrauen und der damit verbundenen Gelassenheit zurück. Ich bin mir sicher, dass Emma mir in vielen anstehenden Lebenslagen nicht nur ein treuer Begleiter sein wird, sondern auch ein guter Freund, der viel Freude bereitet.

Herzlichen Dank an alle, die dies ermöglicht haben.

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